Polen 2004

Konzertreise nach Polen

Von Reinhild Moll

„Kunst ist schön“, hat Karl Valentin mal gesagt, „macht aber viel Arbeit“. Dasselbe gilt für die Musik. Und wie viel mehr Arbeit macht sie erst, wenn sie auf Reisen geht! So geschehen in den ersten Oktobertagen, als Berlins Schüler und Lehrer Ferien hatten: Unsere Berliner Kantorei machte sich zum Singen auf ins Nachbarland Polen, gemeinsam mit dem Schöneberger Kammerorchester (seit zwei Jahren in der Grunewaldgemeinde beheimatet), mit Gesangssolisten, Pauken und Trompeten, mit Orgel und Kontrabass, Kind und Kegel. 140 Personen insgesamt, zwei Doppeldeckerbusse und ein Anhänger.

Ferien waren das nicht, aber so war es auch nicht gemeint. Chor und Orchester unter Sabine Wüsthoff und Günter Brick hatten dieses Projekt geplant, um die östlichen Nachbarn kennen zu lernen, persönliche Kontakte zu knüpfen und mit Bach und Mozart ein musikalisches Angebot zu machen, das aus einigen der Nachbarn Freunde werden lassen könnte.

Es war, nach Italien (2000) und Estland (2002) die dritte gemeinsame Reise der beiden Ensembles. Das bedeutet inzwischen viele vertraute Gesichter, gemeinsame Erinnerungen und eine durch Erfahrungen gewitzte Organisation. Aber so minutiös alles auch geplant und durchorganisiert ist – mit größtem Engagement und Gewissenhaftigkeit der freiwillig Verantwortlichen – Überraschungen gibt es doch immer wieder. Die erste traf gleich bei der Abreise den Fahrer des ersten Busses. Ein Orchester hatte er noch nie transportiert, und da stand er nun am Freitag Morgen mit Bus und Hänger vor der Grunewaldkirche und sollte 70 Menschen mit Gepäck, mehrere Kinderwagen, eine Orgel, eine Ladung Chorpodeste, zwei unhandliche Pauken und einen sensiblen Kontrabass verladen. Beim ersten Mal war er noch etwas nervös, jeden weiteren Transport im Verlauf der Reise meisterte er aber souverän.


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Eine positive Überraschung war Breslau. Wohl die wenigsten hatten erwartet, in dieser vom Krieg übel zugerichteten Stadt einen so prachtvoll wieder aufgebauten Altstadtkern vorzufinden. Vor allem der große Altmarkt mit dem Rathaus als Prunkstück mittendrin und den bunten Bilderbuchfassaden ringsum begeisterte. Die Nächte waren noch warm, viel junges Volk war unterwegs (150 000 Studenten bei 650 000 Einwohnern!), die zahlreichen Straßencafés und das gute polnische Bier machten das Wohlgefühl komplett.

Im modernen, voll besetzten Hotel dann das Kontrastprogramm. Die räumlichen Verhältnisse verlangten vollen Körpereinsatz: Aufbau zur Probe, Umbau zum Essen, dann wieder andersherum und so fort.

Nicht allen hat das geschmeckt – das reichhaltige Büffet morgens und abends dafür umso mehr.

Zum Ausgleich für intensive, mitunter ganztägige Proben ging’s zum Auslüften einen Tag ins nahe Riesengebirge. Die Schneekoppe lockte: drei Stunden Wandern und mit dem Sessellift wieder ins Tal durch wunderschöne Herbstlandschaft. Oder umgekehrt. Die Busfahrt verkürzte ein Reiseleiter mit Legenden und selbstgereimten Balladen von Burgen, Rittern und Rübezahl.

Schließlich, am sechsten Tag, das erste Ziel der Reise: Konzert in der einzigen protestantischen, deutschen Gemeinde von Breslau. Die Jugendstilkirche, erst vor kurzem von einem Kinosaal wieder ins Gotteshaus zurückverwandelt und frisch renoviert, war gedrängt voll, die Kirchentüren blieben offen. Die Klänge der c-Moll-Messe von Mozart und des Bachschen „Magnificat“ drangen auch nach draußen und lockten weitere Besucher an. Die Zuhörer, an eine solche Musik in ihrer Kirche ganz und gar nicht gewöhnt, schienen voller Dankbarkeit. Der perfekt zweisprachige Pfarrer der Gemeinde hofft nun schon, uns jedes Jahr dort zu sehen …


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In Krakau, der nächsten Station, mussten wir dagegen beim abendlichen Bummel und vormittäglichen Stadtrundgang noch eifrig per Handzettel für uns werben. Sechs andere Konzerte, erfuhren wir, machten uns am gleichen Abend Konkurrenz. Dennoch waren die Stuhlreihen in der großen, hohen St. Katharinenkirche gut besetzt, als unsere beiden Dirigenten – von Hektik, Verkehrsstau und Podestaufbau erschöpft, aber doch voll konzentriert – nacheinander den Stab hoben, um das Ergebnis tage- und nächtelanger, akribischer Probenarbeit zum Klingen zu bringen.

Ein letzter Tag blieb uns noch, um das vielgerühmte alte Krakau innerhalb der dicken Mauern touristisch zu würdigen. Einige wagten sich auch nach Auschwitz, andere in das einzigartige Salzbergwerk von Wieliczka. Jene aber, die nur bummeln wollten zwischen den vielen Kirchen, Cafés und Bernsteinläden, zwischen Wawel, Tuchhalle und dem alten jüdischen Viertel Kazimiers, staunten über das geradezu italienische Flair dieser unzerstörten, sehr lebendigen Altstadt. Und sammelten genügend Eindrücke und Einsichten, um am Ende zu wissen: Hier wollen wir mal wieder hin!